• Wie ja viele von Euch schon wissen, habe ich angefangen, die Geschichte meines Lebens in meinem TB zu posten. Da die Resonanz darauf sehr gut und auch groß war, wurde ich ermuntert, auch noch etwas anderes hier einzustellen.
    Ich beginne mit der Geschichte über Geschichten auf dem Land.
    Solltet ihr etwas dazu sagen wollen, ich würde mich über Komentare und Kritik freuen.
    Hier nun das erste Kapitel von Geschichten vom Lande.
    Viel Vergnügen beim:7:dunge

  • Geschichten vom Lande

    Kapitel 1: Opa erzählt

    „Sicher, es läßt langsam nach“, meinte der alte Mann, sich gemütlich vor dem alten Kamin in einen alten, aber sehr bequemen Ohrensessel lehnend, seinen langen weißen Bart streichelnd, der ihm bis auf die Brust reichte, und dabei genüßlich an seiner langen Holzpfeife saugend. „In den Städten läßt der Glaube an übernatürliche Stätten sehr stark nach, aber auch noch vor einigen Jahren, gab es hier Plätze und Orte, die als unheimlich oder gespenstisch galten.“ Während der Oheim einen weiteren Zug an seiner Tabakpfeife nahm, ließ er seinen Blick über seine beiden Urenkel, Maria und Boris, die ihm aufmerksam und mit weit geöffneten Mündern zuhörten, schweifen. Was war er glücklich, daß seine einzige Enkelin mit ihren Kindern zu ihm in das alte Herrenhaus gezogen war, einmal, weil er seit dem nicht mehr einsam war, zum anderen, weil er es nicht für gut befand, daß Kinder in einer Stadt mit all ihrer Hektik und den mannigfaltigen Verlockungen aufwuchsen.
    „Aber hier, im ländlichen Gebiet gibt es noch jede Menge Orte, die einen solchen Ruf haben und zum Teil auch von den Menschen gemieden werden. Solche Orte waren sehr oft Eichen an Wegkreuzungen, Galgenbäume, die es ja heute zum Glück nicht mehr gibt , Fr....“ Opa? Was sind Galgenbäume? Fragte die kleine, 9 Jahre alte Maria, die sich schon recht gut in der Botanik auskannte, aber von so einem Baum noch nie etwas gehört hatte.
    „ Hmmm... Vielleicht weißt Du ja, daß früher die Verbrecher, oder besser die Leute, die für solche gehalten wurden, nicht in Gefängnisse kamen, sondern sehr oft aufgehangen wurden. In größeren Orten und Städten wurde das meist auf dem Marktplatz gemacht, als Unterhaltung für die Bevölkerung. In kleinen Dörfern wurde dazu aber meist ein großer, starker und alter Baum genommen, der außerhalb des Dorfes stand. Und genau diesen Bäumen traute sich keiner mehr, nach Einbruch der Dunkelheit zu nahe, weil die Menschen meinten, daß sich hier die Geister der Gehängten aufhalten würden und Rache suchten für das Hängen.
    So kam es, daß die Menschen Bäume dafür auswählten, die weit vom Dorf entfernt waren, an Stellen, wo selten jemand vorbei kam, als abseits aller Wege. In vielen Fällen teilten sich zwei oder mehr Dörfer einen Galgenbaum. Im laufe der Jahre kam es natürlich zu Geschichten über Dinge oder Geräusche, die bestimmte Leute gehört oder gesehen haben wollten. Was an diesen Geschichten wirklich wahr war, ist immer sehr schwer zu sagen, auf jeden Fall entwickelten sich so Legenden, die bis zum heutigen Tag noch gibt.
    Andere Orte, die solche Geschichten umranken sind oft Friedhöfe, weil die Menschen schon immer Angst vor allem hatten, was mit dem Tod zu tun hatte, Sumpfgebiete und einsam stehende Häuser, Hütten, oder natürlich Burgen.“
    Wieder lehnte sich der alte Mann zurück, sog an seiner Überdimensional langen Pfeife, und überlegte sich, wie er den Kindern eine möglichst spannende Geschichte erzählen konnte, ohne ihnen zu große Angst ein zu jagen.
    In diesem Moment setzte sich seine Enkelin, Birgit, zu den beiden Kindern, sah den alten Mann liebevoll an.
    Opa, warum erzählst Du uns nicht die Geschichte über die alte Hexenweide? Ich habe sie als Kind geliebt.
    Der alte Mann schmunzelte. „Das stimmt, denn ich mußte sie dir mindestens hundert mal erzählen. Aber Du hast recht, das ist eine passende Geschichte.“ Er rückte seinen schweren Körper in dem hohen Ohrensessel zurecht, was sich eher anhörte, als ob der Sessel sich mit lautem Ächzen und Stöhnen gegen seine Last wehren wollte, zündete seine Pfeife neu an, wobei Boris sich fragte, wie lange der alte Mann eigentlich schon an dieser einen Füllung des Pfeifenkopfes rauchte, denn es kam ihm so vor, als ob er noch nie Tabak nachgefüllt hätte, und begann zu erzählen.
    „Früher, vor so vielen Jahren, auch ich war noch nicht geboren, lebte in Kers, dem kleinen Dorf dort drüben hinter dem Hügel ein junges Mädchen. Dieses Mädchen hatte eine sehr seltene Gabe, es konnte Kräuter und Farne erkennen, die Heilkraft besaßen und sie erkannte Krankheiten einfach dadurch, daß sie sich mit den Menschen unterhielt. Dieses Mädchen war nicht nur in Kern sehr angesehen, sondern auch in Ostdorf, in Bühl, Kleinen und Ern, von überall her kamen die Leute zu ihr, um sich heilen zu lassen. Eines Tages kam ein alter Bauer, der bei Allen als boshaft galt, mit seinem kleinen Sohn zu ihr. Der Mann erzählte ihr, daß der Junge beim Spielen in den Steinbruch von Ern gefallen sei, allerdings wußte sie sofort, daß er nicht die Wahrheit sprach und er selber den Unfall verursacht hatte. Auf jeden Fall erkannte das Mädchen, daß der Junge sehr schwer verletzt war und sie ihm nicht helfen konnte, denn so weit reichten ihre Heilfähigkeiten nicht. Allerdings sandte sie einen Boten zu einer der Neun. Die Neun waren Heilerinnen, die in einem sehr alten Kloster in den Sümpfen von Ostdorf lebten. Sie lebten sehr zurück gezogen und suchten nur den Kontakt mit den Leuten, wenn diese sie darum baten. Bis eine der Neun in die Hütte kam, versuchte das Mädchen dem Jungen die Schmerzen zu nehmen und ihn ruhig zu halten. Als die Heilerinnen die Nachricht bekamen, brach die drei Leiterin des Zirkels sofort auf, denn sie kannten das Mädchen schon sehr gut und wußten, daß wenn sie nach ihnen schickte, daß es dann wirklich ernst und dringend war. Doch die weise Frau kam zu spät. Der Junge war schon in den Armen des Mädchens gestorben, so schwer waren seine Verletzungen gewesen. Der alte Bauer war so in seinem Schmerz gefangen, daß er behauptete, das Mädchen hätte seinen Sohn umgebracht, um ihn zu strafen. Und er erzählte sehr böse Geschichten über das Mädchen, die allesamt nicht stimmten. Aber ihr wißt ja, wie Menschen sind. Die Leute aus den Dörfern mieden das Mädchen. Die Neun versuchten, sie für sich und ihren Zirkel zu gewinnen, doch sie zog sich immer mehr zurück und war eines Tages ganz plötzlich verschwunden.“
    Das arme Mädchen, stieß Maria aus. Sie wollte doch nur helfen. „Ja, aber das ist leider oft so im Leben. Auf jeden Fall war das Mädchen verschwunden und wurde nie wieder gesehen. Allerdings geschah etwas sehr merkwürdiges. Wenn man die Mitte der Dörfer, aus denen die Menschen zu dem Mädchen kamen, mit Linien verbindet, so ergibt sich ein Punkt, in dem sich diese Linien Treffen. Und genau an diesem Punkt stand auf einmal eine große, schlanke Weide, die niemandem vorher aufgefallen war. Von dieser Weide hieß es bald, daß sie bei Trauer und Verzweiflung Trost spenden konnte, Krankheiten einfach verschwanden, wenn man sich in ihren Schatten setzte. Manchen Leuten kam es so vor, als ob, als ob die Weide mit ihnen sprechen würde, wenn der Wind durch die Blätter rauschte. In der Zwischenzeit aber war das Mädchen schon zu einer Hexe erklärt worden. So sind Menschen nun einmal, wenn sie etwas nicht verstehen, dann geben sie dem, was für sie unverständlich ist, einen Namen. Der erste, der einen Zusammenhang zwischen dem Mädchen und dem Baum knüpfte, war der alte Bauer, in der Zwischenzeit so von Gram und Haß gebeugt, daß keiner mehr mit ihm sprach. Er war der festen Überzeugung, daß es sich bei der Weide um das Mädchen handelte. Also brach er eines Tages auf, mit einer großen Axt ausgerüstet, um die Weide zu fällen, denn er wollte sich an dem Mädchen für den Verlust seines Sohnes rächen. Jedoch war der Weg von Ern zu der Weide nicht leicht, er ging über mehrere Hügel, so daß der alte Mann sehr erschöpft war und sich, am Ziel angekommen, erst einmal unter die Weide setzte, um sich zu erholen. Wie er da unter dem Baum saß, hörte er das Rauschen der Blätter, das ihn regelrecht einlullte, so daß er ruhig und friedlich wurde, das erste mal richtig über den Verlust seines Sohnes weinen konnte und er anschließend so eine tiefe Ruhe, ja fast schon einen Frieden, verspürte, den er gar nicht kannte, sich darin aber so wohl fühlte, daß er nach hause ging, ohne den Baum zu fällen und immer, wenn er es einrichten konnte, sich unter den Baum setzte. Auch heute noch sieht man oft Menschen unter der Weide sitzen, die nicht zu altern scheint, denn sie wirkt immer noch so jung. Auch ich sitze gerne unter dem Baum, denn er verschafft mir Ruhe und Frieden, und es scheint mir, als ob er meine Gicht und Artrose lindert.“
    Es trat ein nachdenkliches Schweigen ein, das dann endlich durch Boris unterbrochen wurde. „Opa? Gehst Du mit uns einmal zu der Weide? Ich glaube, daß ich das Mädchen mag, und so natürlich auch den Baum. Ich möchte sie gerne mal sprechen hören.“ Der Ohm sah milde auf den Jungen nieder, lächelte seiner Enkelin zu. „Du bist wie Deine Mutter, denn auch sie konnte es nicht erwarten, sich unter den Baum zu setzen. Wenn morgen das Wetter nicht zu schlecht ist, können wir gerne die Wanderung unternehmen.“ Sein Blick fiel auf Maria und ihm fiel auf, wie nachdenklich sie war. „Opa, was mich interessieren würde, gibt es das Kloster in dem Sumpf noch? Und was ist aus den Neun geworden?“ „Das Kloster gibt es noch, doch nur selten gehen Leute dort hin. Ich selber war nur einmal dort, und ich muß sagen, es ist schon ein geheimnisvoller Ort, nicht gruselig, sondern so mystisch, als ob hier noch die Gesetze alter Zeiten gelten. Tatsächlich leben dort noch sieben Nonnen, alles alte Frauen, die sich kaum in den Dörfern zeigen, doch weiß ich nichts über diese Nonnen. Wenn Du möchtest können wir auf unserer Wanderung zu der Hexenweide bei dem Kloster vorbei schauen.“
    Der Vorschlag wurde nicht nur von Maria begeistert aufgenommen, sondern auch Boris war Feuer und Flamme.
    Birgit und der Ohm sahen sich zufrieden lächelnd an. Dann beschlossen sie, schlafen zu gehen, denn es war schon spät, und wenn sie am nächsten Tag zu der Weide und dem Kloster wollten, mußten sie früh aufstehen.

    In der Nacht träumten die Kinder von dem Mädchen, das sich in eine Weide verwandelte. Es war ein angenehmer Traum, der sie am nächsten Morgen ausgeruht und voller Tatendrang aufwachen ließ.

  • -2-


    Die Kinder waren schon früh wach, man könnte fast behaupten, sie seien mit der Sonne aufgestanden. Leise wuschen sich die Zwillinge und zogen sich an. Auf Zehenspitzen schlichen sie die Treppe zu der Küche hinunter, weil sie niemanden wecken wollten und ihre Mutter und den Ohm damit überraschen wollten, daß sie Frühstück machten. Doch daraus wurde nichts, denn der alte Mann und Birgit saßen schon in der großen, gemütlichen Küche, vor einem Ofen, in dem ein flackerndes Feuer brannte und ein angenehme Wärme verströmte. Auf dem Tisch stand schon Tee bereit, das gute Brot, das die Bäuerin von nebenan gebacken hatte und die Marmelade, nach der die Kinder nahezu süchtig waren. Obwohl der Ohm weder in Auto noch einen Fernseher besaß, ganz zu schweigen von einem Radio, vermißten die Kinder nichts von der Zivilisation der Stadt, denn hier fühlten sie sich wohl, was nicht zuletzt daran lag, daß sie hier Freiräume hatten, die in einer Stadt unmöglich sind.
    Sie wurden fröhlich und munter von dem Ohm begrüßt, allerdings auch von Kopf bis Fuß gemustert. Maria hatte eine Jeans an, Turnschuhe und ein T-Shirt. Fast genauso, nur daß sein T-Shirt blau war, Marias war rot, war Boris angezogen. „Wenn ihr mit mir wandern wollt, dann müßt ihr euch aber noch umziehen. So können wir unmöglich den weiten Weg zur Hexenweide, dem Kloster der Neun und zurück gehen.“ Der Gesichtsausdruck der Kinder zeigte Überraschung, fast schon Verzweiflung, weil sie befürchteten, daß sie nicht zu den Orten, die ihre Phantasie so angeregt hatten, gehen konnten, nur weil sie falsche Kleidung hatten. „Geht mal in die Kammer neben der Eingangstür. Vielleicht findet ihr ja da etwas, was ihr gebrauchen könnt.“ Sofort stürmten die Kinder los, Boris noch an einem Stück Brot kauend, Marias Gesicht noch deutlich von dem Genuß der Marmelade gekennzeichnet, in die Kammer. Zu ihrer größten Überraschung fanden sie hier wirklich für jeden von sich ein paar robuste, aber bequeme Wanderstiefel, derbe Wollsocken, nicht zu dicke Wollpullover, denn so kalt war es noch nicht, und leichte Regenjacken. Außerdem hingen drei Rucksäcke an Hacken, an denen je ihre Namen standen, am dritten der Name ihrer Mutter. Sie nahmen alle Sachen, auch die drei Rucksäcke und stürmten in die Küche. Birgit konnte sich ein Lachen gerade noch verkneifen, denn sie genoß es, zu sehen, wie ihre Kinder hier bei ihrem Großvater und der ländlichen Umgebung aufblühten. Noch vor drei Monaten waren beides kränklich blasse Kinder, die eher verschüchtert als aufgeweckt wirkten. Von dem war nun überhaupt nichts mehr zu spüren. Schnell zogen die Kinder die neuen Sachen an, während der Ohm und Birgit die Rucksäcke packten. In die Rucksäcke kamen ein paar Scheiben Brot, für jeden ein Stück Wurst, etwas Käse und Getränke. Das gleiche packten sie sich auch noch ein, nur daß der Ohm in seinen Rucksack noch ein paar Pflaster, Salben und Binden, zusammen mit verschiedenen anderen Dingen einpackte. Nachdem er sich vergewissert hatte, daß sie alles hatten, und auch genug gefrühstückt hatten, brachen sie auf. Sie liefen ein Stück den Weg bis zum Dorf entlang, gingen dann aber nicht in das Dorf sondern folgten einem alten Trampelpfad der das Dorf auf seiner linken Seite umging, auf einen der vielen Hügel zu. Der Ohm hatte jetzt eine kleine Pfeife im Mund, an der er gelegentlich zog, obwohl sie gar nicht zu brennen schien. Seine rechte Hand hielt einen schweren alten Wanderstab, den ein befreundeter Schnitzer ihm vor langer Zeit aus Wurzelholz geschnitten hatte. Nachdem sie den ersten Hügel überwunden hatten, konnten sie die Landschaft betrachten. Links, in einem Tal liegend sahen sie Bühl, das von hier aus noch kleiner wirkte, als es wirklich war. Direkt vor ihnen zogen sich sanfte Hügel hin. Auf einem dieser Hügel stand einsam ein mächtiger Baum, die Hexenweide. Es war zwar noch weit zu gehen, aber die Tatsache, daß sie den Baum, der sie so interessierte, schon sahen, verlieh ihnen fast schon Flügel. Schneller, als der Ohm es sich gedacht hatte, machten sie sich an den Aufstieg des Hügels, auf dem die Weide stand. Dadurch, daß dieser Hügel relativ steil war und kein Pfad oder Weg hinauf führte, kamen sie sehr atemlos und erschöpft an. Fast ehrfurchtsvoll blieben die beiden Kinder vor dem Baum stehen, betrachteten ihn eingehend, fast schien es so, als ob sie darauf warteten, daß der Baum ihnen erlaubte, näher zu kommen. Inzwischen war der Ohm schon zu dem Stamm der Weide gegangen, und ließ sich ächzend an ihm hinab gleiten, um sich in das weiche Gras zu setzen. Birgit, die schon lange nicht mehr an diesem Baum stand, ging zögernd zu der alten Weide, lehnte sich an den Stamm und es sah fast aus, als wolle sie den Baum umarmen. Ihr Gesichtsausdruck wirkte verklärt, und es schien, als ob schlagartig alle Last und Probleme. Alle Sorgen von ihr abfallen würden. Die Kinder hörten ihre Mutter leise murmeln und flüstern. Langsam, sehr langsam gingen die Kinder, Hand in Hand, auf den Baum zu. Es war schon eine geheimnisvolle, mystische Atmosphäre, die hier herrschte, allerdings ohne furchteinflößend oder gar gruselig zu wirken. Ringsum war nur der Wind in den Blättern der Weide zu hören, und es klang wirklich so, als ob die Weide mit einer sanften, ruhigen Stimme zu ihnen spräche. Maria meinte, Worte wie „Da seid ihr ja endlich, Kinder meiner Freundin und Schwester. Kommt zu mir, laßt uns Freundschaft schließen.“ zu hören. Und tatsächlich ging sie nun bis zu dem Baum und setzte sich neben ihren Urgroßvater. Sie schloß die Augen und es schien, als ob eine unglaubliche Kraft und Energie durch sie floß, aber nicht nur das, auf einmal wußte sie Dinge, von denen sie bisher nichts gehört hatte. Ähnlich erging es Boris, der auf der anderen Seite des Ohms saß, nur daß es ihm noch schien, als ob der Baum ihm zärtlich durch die Haare fuhr. Nun vernahmen alle vier die ruhige und sanfte Stimme des Baumes. „Sie sind zu zweit, doch sind sie eins. Das Schicksal sieht für sie zwei Wege vor, doch werden sie dadurch nie getrennt. Ihr wollt noch heute zu den Schwestern gehen. Das ist gut, denn sie warten schon lange auf Euch.“ Nun war es absolut ruhig und still, nur die Kraft der Weide umgab sie. Sie blieben noch lange sitzen, jeder in seine Gedanken vertieft, bis alle vier gleichzeitig, wie auf einen geheimnisvollen Befehl, aufstanden und sich an den Abstieg zum Ostdorfer Moor hin machten. Lange sprach niemand ein Wort. Plötzlich brach Boris das Schweigen. „Sie hat den falschen Namen. Ich würde sagen, sie müßte Feenbaum oder Elfenweide heißen, denn eine Hexe ist sie bestimmt nie gewesen.“ Birgit sah ihren Sohn lange an, dann schmunzelte sie und meinte: „Da hast du vollkommen Recht. Die Bezeichnung der Hexe kam durch den alten, griesgrämigen Bauern. Er war zu verbittert, um Marias wahres Gesicht zu erkennen. Ja, auch sie hieß Maria, und ich habe dich nach ihr benannt.“ Maria blieb kurz stehen, dann erhellte sich ihr Gesicht. „Mir hat mein Name schon immer gefallen, aber jetzt bin ich froh, so heißen zu dürfen.“ Der Ohm lächelte, nahm beide Kinder in den Arm, und ging schweigend weiter, auf den Ostdorfer Sumpf zu. Es war schon lange nach Mittag, als sie sich unter eine alte Eiche setzten und etwas aßen. So wie es aussah, würden sie erst spät am Abend heimkommen. Aber sie wollten unbedingt zu dem alten Kloster.

  • Lässt sich gut lesen, flüssig geschrieben.

    Eventuell wären mehr Absätze sinvoll.

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