Hallo liebes Expertenteam,
ich habe mich an Euer Forum gewendet, da ich das Gefühl habe, Hilfestellung zu benötigen, und zwar deswegen, weil ich nach einiger Therapie-Erfahrung jetzt nicht sicher bin, ob ich momentan wirklich eine neue Therapie anfangen soll.
Ich möchte nicht mit meinem Arzt darüber sprechen, solange ich nicht wirklich den sicheren Entschluss zur Thera gefasst habe, und deswegen hoffe ich sehr, daß Ihr mir hier vielleicht zuerst mal etwas dazu sagen könnt.
Ich hab in meinem Leben einiges Schlimmes erlebt (schwere Krankheit mit diversen Behandlungen während der Kleinkindzeit, mit 8 sexueller Mißbrauch, psychische Gewalt Zuhause und in der Schule, Depressionen, Magersucht, Bulimie, Promiskuität, Alkoholabusus, coabhängige Beziehung zu einem persönlichkeitsgestörten Mann, dadurch SVV...) und habe dank langjähriger Therapie und eigener Weiterentwicklung das Gröbste überwunden.
Rational weiß ich, daß meine Seele geschädigt ist und natürlich auch, wovon.
Aber man bemüht sich ja immer, so unbelastet und "normal" wie nur möglich durchs Leben zu gehen, und ich habe im Moment eine Phase, in der ich denke, daß mir das immer noch nicht soweit möglich ist, wie ich es mir wünsche.
Meine Probleme sind dabei eher latenter Art, denn ich habe keine extrem auffälligen Verhaltensstörungen und leide nicht mehr an akuten Symptomen wie z.B. Depressionen oder SVV.
Allerdings bemerke ich selber an mir (und zwar noch bevor es andere bemerkt haben!), daß ich mich latent und dauerhaft selbst gefährde mit impulsiven und suchtähnlichen Verhaltensweisen.
Da wäre zuerst mein in regelmäßigen Abständen auftretender Alkohol-Abusus. Es passiert in letzter Zeit mindestens einmal im Monat, daß ich einen Vollrausch habe, oft mit Filmriss.
Ich trinke nicht täglich Alkohol und ich empfinde auch keine Sehnsucht danach. (Hier zuhause kann eine Flasche Wein oder Bier wochenlang rumstehen ohne daß ich Lust darauf bekäme.)
Ich trinke auch nicht (so wie früher!) absichtlich, um Kummer zu dämpfen oder "ein anderer Mensch" sein zu können, sondern es passiert heutzutage einfach in Gesellschaft und mit der guten Laune und ohne daß ich drüber nachdenke, daß ich eben Bier wie Limo trinke und irgendwann kommt dann der Punkt, wo es längst zu viel ist.
Mein Freund sagt, ich sollte bewusster trinken und nicht so gedankenlos. Vermutlich stimmt es, daß ich mir einfach eine verantwortungslose Trinktechnik angewöhnt habe... es ist ja auch leider so, daß man sich heutzutage nicht schämen muss, wenn man "ordentlich was wegstecken" kann, sondern eher noch, daß es oft sowas wie ein unterschwelliges Wett-Saufen gibt (einfach nur aus Spaß - wie idiotisch eigentlich).
Ich denke in dem betreffenden Moment einfach nicht daran, darauf zu achten, wann der Punkt erreicht ist wo ich besser aufhöre. Es ist wie eine Welle, auf der ich mich mitreißen lasse. Genauso läuft es mit dem Rauchen: Ich rauche dabei dann auch bis zu 2 Packungen Zigaretten am Abend (also Kette) und fühle mich am nächsten Tag dementsprechend elend.
Da ich auch mit Bekannten darüber spreche und es denen ähnlich geht, daß sie es ab und zu übertreiben und dann an so einem Morgen denken: "ich trink nie wieder was!", hab ich mir bisher nicht so bewusst gemacht, daß da vielleicht etwas mit mir nicht stimmt.
Aber ich glaube, daß ich an solchen Abenden sowas wie Kontrollverlust habe, und daß einmal im Monat zuviel ist.
Ich habe nie in Erwägung gezogen, alkoholsüchtig zu sein, weil Alkohol so eine "Normalo"-Gesellschafts-Droge ist und jeder, der mehrmals die Woche was trinkt, potentiell Alkoholiker ist - und das wären dann ja fast alle!!
Mein Vater ist und mein Opa war auch so ein "Gewohnheitstrinker".
Kann es sein, daß ich genetisch eine Veranlagung habe, alkoholabhängig zu werden?
Früher (als ich Anfang 20 meine Pubertät nachgeholt habe) habe ich mal sehr oft und regelmäßig viel getrunken - auch mit der vollen Absicht, mich zu betrinken. Da war ich noch etwas anders drauf, völlig verwirrt und fast ein Borderliner, würde ich sagen. Nachdem ich Therapie gemacht und mich von bestimmten Menschen innerlich getrennt habe, ging es mir allmählich immer besser und ich habe viel von dem Mist aus meiner Jugend verarbeitet (es stimmt wirklich, daß auch die Zeit Wunden heilen kann).
Ich arbeite jetzt seit ein paar Jahren neben dem Studium in einer Kneipe und da bleibt es halt nicht aus daß man mit den Kollegen noch ein Feierabendbierchen trinkt. Seitdem ist mein Alkoholkonsum in der Regelmäßigkeit wieder angestiegen. Anfangs sind wir auch in der Gruppe nach der Arbeit ab und zu noch weg gegangenwas trinken.
Das wurde anders, als ich vor zwei Jahren mit meinem jetzigen Freund zusammen gekommen bin. Er gibt mir genau das richtige Maß an Geborgenheit und Halt und ich bin nicht mehr so ziellos und umhergeworfen.
Wir verbringen viel mehr Zeit zuhause und gehen nur noch ganz selten "feiern".
Abgesehen von dem momentan eher wenigen Alkohol auf der Arbeit war ich aber in letzter Zeit im Schnitt so einmal im Monat auch privat weg, und dann endet es meistens im Vollrausch - manchmal nur so, daß ich zwar "lustig blau", aber am nächsten Tag wieder fit war - und manchmal so, daß ich richtig zugedröhnt war und danach einen Tag lang im Bett bleiben musste, weil es mir so schlecht ging!!
Ich mache mir echt Sorgen um meine Gesundheit. Ich habe mir schon vorgenommen, ab jetzt mal aufzupassen wenn ich weggehe und darauf zu achten, wieviel ich trinke. Mit dem Rauchen will ich im neuen Jahr aufhören.
Nun aber noch etwas besonderes: Gerade in letzter Zeit kam es auch vor, daß ich im Suff zuhause dann plötzlich angefangen hab zu weinen - ohne Grund. Mein Freund sagt er fühlt sich dann hilflos, weil ich so schrecklich weine und er mich versucht zu trösten, ich das dann aber wohl ablehne (?!).
Ich kann mich selber am Tag danach nicht mehr an den Grund erinnern - nur daran, daß ich halt einen unbändigen Weltschmerz fühle, der mich total überwältigt und mich so weinen lässt.
Ich denke mir, daß ich vermutlich noch immer tief drinnen Dinge mit mir herumtrage, die ich noch nicht richtig verarbeitet habe.
Ich habe versucht, meinem Freund zu erklären wie sich das anfühlt: Es ist als würde tief in mir ein riesiger unterirdischer Stausee aus Schmerz sein, aus dem es immer nur tröpfeln darf. Und wenn ich sehr betrunken bin (kurz vor Koma), fühle ich den Druck dieses Stausees so unglaublich schwer und belastend, daß ich es nicht mehr halten kann. Und selbst wenn ich dann weine, versuche ich immer, alles zurückzuhalten und wieder herunterzuschlucken, aus Angst vor dem, was da heraus kommen könnte. Denn wenn ich den Damm brechen würde, dann würde ich vermutlich so laut und lange weinen und herumschreien, daß man mich gleich in die Klapse einweist. Zumindest denke ich das.
Gibt es so etwas wie eine "Schrei"-Therapie? Und wenn ja, was ist das dann? Gestalttherapie oder Tiefenanalyse? Wo kann man sowas machen?
Ich habe insgeheim den Wunsch, daß jemand mich auffordert, zu schreien. Daß es nicht verboten oder peinlich ist, daß ich mich nicht verstecken muss dafür. Daß jemand mich so lange provoziert, bis ich es alles rauslassen kann. Daß jemand von mir WILL, daß ich es herausschreie. Das wäre glaub ich unheimlich befreiend für mich, denn ich habe ganz tief noch immer so wahnsinnig viele unterdrückte Tränen in mir, so viel Wut und Verzweiflung und Ohnmacht. Ich könnte vermutlich tagelang nur weinen!
Der dritte Punkt ist, daß ich Zukunftsängste habe - aus denen vermutlich auch meine Todesängste resultieren. Ich habe seit langem die Gewissheit, daß ich nicht mehr lange lebe und entweder in einem Unfall zermatscht werde (da hab ich richtig reale Visionen von!) oder an Krebs sterbe.
Oder woher kann das sonst kommen?
Kann es sein, daß mein Körper sich die mehrmaligen "Fast-Tode" in meinem Leben irgendwie gemerkt hat? Als Kind die schwere OP, dann der Typ der mich missbraucht und gesagt hat daß er mich danach umbringt, dann mein Psycho-Freund der mich grün und blau geschlagen und mir fast die Rippen gebrochen hat?
Oder ist es einfach nur eine rein psychische Störung, daß ich permanent denke, ich lebe nicht mehr lange? Was steckt dahinter?
Manchmal habe ich auch den Verdacht, daß es einfach meine Angst vor meiner Zukunft ist. Daß ich befürchte, ich schaff es in Zukunft nicht alleine und mir dann unterbewusst wünsche, ich hätte eine "Ausrede" dafür, daß ich im Leben nichts auf die Reihe gekriegt habe? (durch die lange Krankheit und die schleppende Therapie hat sich natürlich auch meine Ausbildung sehr verzögert und ich bin immernoch nicht beruflich selbständig sondern mache gerade mein Zweistudium).
Ich könnte noch so einiges schreiben, denke aber, das reicht erstmal.
Zum Abschluss vielleicht noch drei Fragen:
Denkt Ihr, es gibt für mich einen Weg, das alles irgendwie hinzukriegen ohne die zeitraubenden, demütigenden und nervenbelastenden Wege von Therapeut zu Therapeut (es dauert meistens lange bis man den passenden gefunden hat), vor denen mir jetzt schon graut?
Glaubt Ihr, ich bin alkoholabhängig und muss deswegen zum Arzt?
Oder meint Ihr, daß meine Probleme sich - gemessen an dem was ich durchgemacht habe - noch im Rahmen des "Normalen" befinden und ich mir vielleicht zu viele Gedanken mache?
Ich wär Euch wirklich super dankbar, wenn Ihr Euch die Zeit nehmen könntet, meinen Mega-Text zu lesen und mir vielleicht einen guten Rat zu geben, der nicht dem Standard ("geh zum Arzt und mach ne Therapie") entspricht!
Lieben Gruß!
Pucki