Geschichte einer kleinen weissen Blume
Es war einmal eine Blume. Die wuchs und gedieh und freute sich ihres Lebens.
Doch plötzlich kam einer des Weges und trat auf die Blume drauf.
Der andere ging weiter, sie aber lag traurig am Boden.Dann richtete sie sich wieder auf und liess sich weiter von der Sonne bescheinen. Am nächsten Tag aber passierte das gleiche wieder und auch die darauffolgenden, viele Tage lang. Jetzt fing die Blume an, Angst zu kriegen, denn sie wollte gerne leben.
Sie sagte sich aber auch, gut, der liebe Gott hat mich hierhergestellt, auf meinen Platz, und ich habe nichts weiter zu tun, als zu stehen und zu blühen und mich wieder aufzurichten, wenn mich jemand zertritt.
Als wieder jemand des Weges kam, auf sie trat und sie am Boden lag, drehte sich derjenige um und richtete die Blume wieder auf. Er steckte einen Stock in den Boden, damit sie wieder Halt hatte, und ging weiter.Das freute die kleine Blume, denn sie war eigentlich ziemlich schwach geworden. Manchmal wunderte sie sich über die Menschen, die sie zertraten und achtlos liegen liessen, doch sie sagte sich, es wird wohl ein Versehen sein, und sie freute sich immer, wenn sich jemand entschuldigte und sie wieder aufrichtete.
Und dann half ihr auch der Gedanke, dass sie ja nur Gott gehörte, und er mit ihr machen konnte, was er wollte. Manchmal kam auch ein Gärtner und gab der Blume Wasser zu trinken. Es war schön, jemanden zu haben, der mit ihr sprach und sich um sie kümmerte.
Einmal war sie sehr schwach und traurig und geknickt und konnte sich garnicht wieder aufrichten,. Da kam eine kleine, grüne Schlange und sagte zu ihr : Komm mit mir in den Wald, dort sage ich dir, was du tun kannst, um dich vor den Menschen zu schützen. Die Blume wollte das schon gerne, denn sie war müde geworden, immer wieder zertreten zu werden und sich wieder aufzurichten. Die Schlange nahm die Blume in ihr Maul und wollte sie rausziehen, doch der Blume Wurzeln hafteten fest in der Erde und es gelang ihr nicht, soviel sie auch zog und zerrte. Endlich sagte die Schlange zur Blume : Darf ich dich bitte abbeissen und mitnehmen ? Die Blume gestattete es und die Schlange bass vorsichtig den Stengel durch , nahm die Blume in ihr Maul, und machte sich ganz gemächlich auf den Weg in den Wald.
Dort zeigte sie der Blume wunderliche Dinge und der Blume gefiel das auch ganz gut, doch manchmal fürchtete sie sich auch ein bisschen, denn eigentlich wollte sie das alles garnicht wissen und dachte manchmal mit Sehnsucht an ihren Platz zurück, wo sie vorher stand. Die Schlange wusste aber die Blume nicht richtig zu ernähren, einmal schüttete sie eine Menge Wasser über sie, so dass sie beihnahe ertrank, ein andres Mal gab sie ihr tagelang nichts zu trinken, dass sie fast verdurstete. Endlich hauchte die Blume ihren letzten Lebensgeist aus und verschied.
Die Schlange drehte sich gleichgültig um, und ging, woher sie gekommen war. Nach einiger Zeit jedoch kam aus der Selle, an der die Blume vorher stand, ein neuer Spross hervor, denn die Wurzeln waren ja noch im Boden geblieben. Doch schon bald kam jemand und wäre beinahe auf den Spross getreten und der Spross dachte sich, wie gut es wäre, Dornen zu haben. Da spürte er, wie eine dichte Dornenhecke über ihn wuchs. Da hatte der Spross nun Ruhe und konnte ungestört wachsen. Aber er hatte nun auch kein Sonnenlicht mehr, und so kam auch keine Blüte mehr, da war der Spross traurig darüber und wünschte sich, die Dornenhecke würde sich wieder öffnen. Und als die Dornenhecke wieder aufging, kam sogleich das Sonnenlicht und beschien den Spross und es kam auch süsser Regen und nässte ihn, so dass er voller Freude bemerkte, wie er wieder grösser und stärker wurde. Er hatte auch jetzt keine Angst mehr davor, unter die Erde getreten zu werden, hatte er doch nun die Gewissheit, immer wieder aus den Wurzeln herauswachsen zu können.
Die Zeit verging, die Blume entwickelte sich, und als die Blüte in voller Pracht stand, flog ein Bienchen herbei, setzte sich auf die Blüte und senkte ihren Rüssel tief hinein, um durch fortwährendes Saugen die Blume zu ermuntern, ihren Saft ausströmen zu lassen. Der Blume tat das sehr wohl, und so liess sie ihren Saft fliessen in in die Biene.
Das Bienchen tat das Ihrige dazu, so dass der Blume und der Biene Saft immerfort hin und her strömten, bis die Biene ihre Honigsäckchen gefüllt hatte und davonflog, die Blume aber gestärkt mit neuer Lebenskraft sich weiter daran erging, sich selbst zu verströmen ini ihrem Duft dem Himmel und der Sonne zu. Und je klarer und unverhüllter die Sonne ihre Strahlen herabsendete, desto kräftiger wurde der Blume Duft, um die Bienchen anzuziehen.
Da kam ein Mensch des Weges, ganz in Gedanken befangen, denn er war verzweifelt fast nach einem Wie seinem kranken Nachbarn zu helfen. Da hielt er plötzlich inne und gewahrte den lieblichen Wohlgeruch der Blume, die unablässig in ihrem Duft aufging. Wenn nur solch eine Liebe in mir wäre, dachte der Mensch, wie der Duft dieser Pflanze, so dass der Kranke sich daran erfreuen und gesunden könnte. Und er schwieg und übte sich im Schweigen.
Als der Sommer vergangen war und die Blume all ihre Samenkörner um sich verstreut hatte, spürte sie, wie ihre Kraft aus ihrem Leib in ihre Wurzeln gezogen wurde. Stück für Stück nach unten, unaufhaltsam, sie konnte sich nicht dagegen wehren. Sie dachte sich, gut, wenn der liebe Gott es so will, so soll es geschehen und wurde ganz still und ertrug es mit Geduld. Und doch wurde es ihr sehr schwer, als sie fühlte, sie müsse nun sterben, doch es war wie ein Keim einer Hoffnung in ihr, der ihr sagte : das, was du nennst verblühen, es ist Sterben und ist Leben auch. Doch erst der Tod und dann das Leben. Erst sterben und dann auferstehn. Erst blühen, dann vergehn. So harre aus in Demut und Bescheidenheit, ein neues Leben ist schon in dir bereit. Du trägst den Keim des Neuen bereits in dir, doch Trost ist dir dies nicht, nur ein Ermahnen an das, was du bist - Vergänglich - doch zum Leben neu erkorn - in dir - du trägst des Lebens Born - so nimm Abschied nun - und welk dahin - wie das Schicksal dir von Anfang an beschied - doch wisse, neues Leben wird geborn wenn du gehst dahin - stirb, damit du neu kannst werden .
Und leise Hoffnung regte sich im Blümelein, die sagte, es ist nicht umsonst, dein Schmerz, deine unsägliche Trauer und Angst, das ist es, was gewollt wird nun von dir - damit du erlösest wirst von deinem Sterben. Denn auch, wenn du stirbst, gib dich mit Freude dem Sterben hin - dann wirst du auferstehn - du weisst es doch, kleins Blümelein - du hast doch das leise Ziehen und Zagen - die Hoffnung auf Unendlichkeit. So gib dich mit Freude dem Sterben hin - und wisse - du wirst auferstehn.