Sorgen mit dem Bruder

  • Hallo Forum.
    Ich hoffe mal, dieses Thema passt hier rein.

    Folgendes Problem:
    Es geht um meinen Bruder (1 Jahr älter als ich, Mitte 30). Vorneweg sollte ich erwähen, dass wir durch frühe Scheidung der Eltern in völlig verschiedenen Umfeldern aufgewachsen sind und dadurch auch leider nie ein enges Gechwisterverhältnis aufbauen konnten.
    Wir waren aber schon als Kleinkinder (als wir noch zusammen waren) grundverschieden und haben uns oft gezankt. Aber ich nehme mal an, das sollte erstmal nichts außergewöhnliches sein.

    Wir hatten nie viel Kontakt, immer nur bei z.B. eigenen Geburtstagen oder die des jew. Elternteils. Doch selbst dann kamen wir auch im Erwachsenenalter nie miteinander klar. Ich habe das immer darauf zurückgeführt, dass wir eben in anderen Umfeldern aufgewachsen sind und auch komplett andere Interessen hatten und haben.
    Seit ca. 4-5 Jahren haben wir vermehrt Kontakt gehabt und da sind dann öfters Streitigkeiten eskaliert.
    Ich muss dazu sagen, dass wir beide es drauf haben, uns gegenseitig bis auf's Messer zu provozieren. Da dachte ich auch noch lange, das läge daran, dass es eben zwischen uns nicht klappt.

    Ich habe dann mal mit einem guten Freund gesprochen, der riet mir, ich solle mal versuchen dass ich ruhig und sachlich bleibe, wenn ein Streit auszuufern schien. Das tat ich dann auch. Fiel mir dann zwar schwer, doch es haute einigermaßen hin.
    Dadurch, dass ich lernte relativ ruhig zu bleiben, hatte ich dann auch bei Streitigkeiten einen klareren Kopf als vorher und konnte mir dann auch mal merken, über was wir eigentlich stritten bzw. was mein Bruder so für DInge losgelassen hatte. Als ich diese hinterher oder einen Tag später in meinem Hirn nochmal durchging fiel mir irgendwann auf, dass mein Bruder völlig absurde Argumente zu gewissen Themen brachte und auch, dass es im Grunde immer nur darum ging, dass er recht behielt. Und mir fiel auf (ich denke jetzt kommt das wichtige), dass er immer begann auszuflippen, wenn es im ihn persönlich ging bzw. wenn es in eine solche Richtung zu gehen schien.
    Dabei versuchte ich von Gespräch zu Gespräch immer mehr, eher konstriktive Kritik zu machen bzw. das so neutral wie möglich zu formulieren, doch weit kam ich nie. Wenn er begann mit unfairen rhetorischen Mitteln zu Diskutieren und auch (wenn auch indirekt) beleidigend wurde, brauchte ich nur zu erwähnen, dass sein Verhalten mir gegenüber kein Art sei, wie er mit mir redet und ich gerne mal normal über "uns" reden wolle ... dann war es schon vorbei.
    Man muss dazu sagen, dass er in dieser Zeit "Karriere" machte und auch entsprechende Managementkurse (Umgang mit Angestellten, Rhetorik etc.) machte, was man bei privaten Gesprächen auch immer mehr spürte. Denn er nutze dieses Wissen in diesen privaten Gesprächen und das ging irgendwann soweit, dass ich mir wie ein unwürdiger Angesteller vorkam, den er mit geschickten Worten zusammenscheisst.
    Traurig nur, dass das alles total durchschaubar war und total künstlich "antrainiert" klang, doch das merkte er selber nicht und mir gelang es auch nie ihn darauf hinzuweisen, dass wir hier kein Gespräch von Chef zu Angestellten führen. Er wurde dabei auch sehr oft arrogant und drohte mir des öfteren mit eigentlich total unsinnigen Dingen, die sich aber scheinbar aus seiner Sicht rhetorisch toll anhörten.

    Aber auch bis dahin führte ich das auf meine Person zurück, dass ich mich selber vielleicht irgendwie unbewusst verhalte, dass das in ihm auslöst. Vielleicht auch durch das Thema Eltern, Scheidung, vielleicht Neid auf mein Leben bei dem anderen Elternteil ... keine Ahnung. Das waren nur Vermutungen.

    Dann war ich irgendwann mal bei ihm zu hause und er hatte eine kleine Meinungsverschiedenheit mit seiner Frau, da viel mir auf einmal auf, dass er sich ihr gegenüber sehr ähnlich verhält (wahrscheinlich hatte ich das vorher nur nie so wahrgenommen). Nur sie sah scheinbar keine andere Möglichkeit mehr und wich solchen Diskussionen mit ihm total aus, so dass er sich schnell beruhigte, weil er scheinbar aus seiner Sicht "gewonnen" hatte bzw. sie ihm nicht widersprach.
    Ich dachte mir nur: Aua, was für eine Ehe, wenn gewisse Dinge dann dadurch völlig ungeklärt und unaugesprochen beleiben.
    Dann begann ich mal generell aufmerksamer zu sein, wenn es zwischen ihm und anderen Meinungsverschiedenheiten gab und siehe da, mit unserer Schwester ging er auch so um, allerdings eskalierte das nie, da unsere Schwester dann recht schnell nach seiner Pfeiffe tanzte und das machte, was er wollte bzw. dann auch "seiner" Meinung war. So kam es nie dazu dass er ihr gegenüber verbal grober wurde, weil er sein "Ziel" ja scheinbar recht schnell erreichte.

    Eine Zeit lang dachte ich auch, er sei cholerisch und dann könne man eh nicht viel tun, doch auch er wurde irgendwann ruhiger im Ton, versuchte dabei seine fragwürdige berufliche Rhetorik anzuwenden, aber im Grunde blieb es bei der nicht netten und größtenteils unfairen Gesprächweise und dabei, dass es nur seine "Wahrheit" gibt.
    Und selbst wenn es darum ging, dass er jemanden helfen wollte (diese grundlegende Hilfbereitschaft scheint ehrlich zu sein) und schlug einen Lösungsweg für das Problem des anderen vor, ignorierte er aber immer, wenn diese Lösung nach seinem Vorschlag für die betreffende Person so nicht in Frage kam. Er war dann irgendwann total beleidigt, weil sein Gegenüber seine Hilfe (nach seinen ganz genauen Lösungsvorstellungen) nicht annahm. Es gab dann für ihn nie den Weg, dass man vielleicht hier oder dort an seinem Lösungsvorschlag ein paar Kleinigkeiten ändern könnte, damit der andere das Problem lösen kann.

    Ich habe mich dann von ihm vor ein paar Monaten bewusst distanziert, da ich keine Möglichkeit mehr sah ihm nahezubringen, dass ich so nicht mit mir umgehen lassen will. Denn selbst bei fachlichen oder sachlichen Gesprächen und Aussagen von mir wie z.B. "Ich habe mit einem Experten über das Thema gesprochen, der sagt das sei so und so..." erwiederte er, "Nein, das glaub ich nicht, das kann so nicht sein", selbst bei Themen, von denen er selber gar keine Ahnung hat und sich auch nie mal damit auseinandersetzte. Also ja nie zugeben, dass ein anderer es besser wissen könnte. Als würde er "verlieren", doch was?

    Vor einiger Zeit meldete er sich bei mir per Mail und fragte was los sei. Ich brauchte ihm nur zu antworten, dass ich darauf besser nicht antworte, da es um persönliche Kritik an ihm geht und schon erhielt ich eine E-Mail mit lauter "Nettigkeiten", ohne überhaupt was näheres erwähnt zu haben. Ich antwortete nur darauf, dass ich genau deswegen nicht mit ihm sprechen möchte, da ging es erst richtig los. Ich ignorierte das dann einfach.

    Ich frage mich immer wieder, wie ein Mensch mit solchem Verhalten im Beruf so erfolgreich sein kann (das ist er nämlich mittlerweile).

    Ich selber bin nämlich ein Mensch, der möchte das geklärt haben und nicht immer alle Worte vorher 10000%ig abwägen müssen, wenn ich mit ihm rede. Das ist mir zu oberflächlich, zumindest im familieren Umfeld. Seine Frau und unsere Schwester scheinen sich wohl so damit zufrieden zu geben halten lieber ihren Mund. Ich weiß nicht; die bauen sich doch eine Scheinwelt mit ihm auf und sind in Wahrheit total unzufrieden mit seinem Umgang.

    OK, nach viel Text jetzt meine Frage. Was könnte mein Bruder für ein Problem haben? Ist das eine Persönlichkeitsstörung, dass er auf seine persönliche Umwelt so reagiert und außer seiner eigenen Wahrheit nichts anerkennt und seine "Wahrheit" dann mit verbaler Gewalt um jeden Preis durchsetzt und verteidigt?

    Und wie kommt man ein einen solchen Menschen ran, wenn selbst andere seines näheren Umfeldes das Thema am liebsten nicht ansprechen und immer brav ignorieren?

    Danke für's Lesen und Gruß
    H.

  • Hallo HeinzW
    Nun, was das nun ist, ob es krankhaft ist, eine Persönlichkeitsstörung oder einfach nur eine Charaktersache, kann ich nicht beantworten. Das müssten Menschen, die das gelernt haben, beurteilen (Ärzte, Psychiater, Psychologen)
    Ich selber sehe eigentlich "nur" einen provokanten, rechthaberischen und selbstverliebten Menschen aus Deinen Zeilen. Wie man solchen Menschen näher kommen kann, weiss ich leider auch nicht, weil ich mich dem Umgang mit solchen Menschen entziehe.
    Was mich aber sehr beeindruckt hat, ist, wie Du damit umgehst. Du hast Dich aus den Streitereien herausgenommen, die ganze Sache neutral beobachtet und hast Deine Schlüsse daraus gezogen. Das ist schon eine absolut tolle Leistung!

  • Hallo HeinzW

    ich kenne vergleichbare Situationen aus meiner eigenen Familie und neige dazu zu sagen das da eine gewisse Form von Selbstüberschätzung vorhanden ist. Wenn das bei Deinem Bruder so ist wie bei meinem Cousin dann verbirgt sich meiner Meinung ein fehlendes Selbstwertgefühl dahinter und er befürchtet vielleicht nicht für voll genommen zu werden wenn er von irgendetwas keine Ahnung hat. Er muß wahrscheinlich auch grundsätzlich das Ruder in der Hand halten und alles hat nach seiner Pfeife zu tanzen. Das alles hat aber auch damit zu tun das er sich in Konkurrenz zu jedem anderen sieht, selbst wenn da keine Konkurrenz vorhanden ist, und da will er einfach der Bessere sein und immer wieder auf ein neues bestätigt werden. Vielleicht ist es einfach nur ein übertriebenes Geltungsbedürfnis.

    Mein Cousin scheint von seinen eigenen Komplexen, die ich nicht verstehen kann, so stark belastet zu sein, daß er ohne fortwährende "Anerkennung" und ständige Anwesenheit im "Mittelpunkt des Interesses" nicht leben zu können glaubt weil er sich in solchen Momenten einfach wertlos vorkommt. Vielleicht sieht das auch so bei Deinem Bruder aus.

    Ich kann an meinen Cousin nur dann rankommen wenn ich das rhetorisch so aufbaue das ich ihm das Gefühl gebe das er das Gespräch führt. Aber auch das funktioniert nicht immer.

    Viele Grüße:

    Siegfried

  • Zitat von Siegfried;254827

    Hallo HeinzW
    [...] Ich kann an meinen Cousin nur dann rankommen wenn ich das rhetorisch so aufbaue das ich ihm das Gefühl gebe das er das Gespräch führt. Aber auch das funktioniert nicht immer.

    Das funktioniert in dem Fall leider auch nicht. Was habe ich alles für unterschiedliche Arten versucht, um an ihn ranzukommen. Rhetorisch in verschiedenen Arten, nur die "Ich"-Form benutzt, damit er sich mit einem "Du hast", "Du bist" oder "Du könntest" nicht gleich wieder direkt angegriffen fühlt, usw. usw.
    Dumm ist er ja nicht und scheinbar wird ihm (oder auch mir) das zum Verhängnis, weil er immer ganz genau und sofort raushört, auf was ich raus will. OK, er kennt mich eben auch gut, so wie ich ja bei ihm sofort merke, wenn er mit zweifelhafter antrainierter Rhetorik irgend einen Mist erzählt.

    Das Schlimme ist, er dreht das auch relativ oft um, also das was ich ihm klarmachen will, wohin ich ja nicht mal ansatzweise komme, wirft er dann mir vor und macht anschließend dicht bzw. wird ausfallend und ist beleidigt. Auch gräbt er gerne dann uralte "Sünden" von mir aus, wenn ihm gar nichts mehr einfällt.

    Na ja, ich denke, so lange er selber nicht merkt, dass er niemanden an sich ranlässt bzw. dass das nicht immer die beste Methode ist, wird ihm oder besser gesagt uns keiner helfen können.
    Könnte ja auch sein, dass ich mich vielleicht auch in irgendeiner Weise ihm gegenüber falsch verhalte, weil ich unterbewusst irgendwas blöd rüberbringe, doch auch dies werde ich von ihm nicht sachlich erfahren, falls dem so ist. Ich bin ja schon offen dafür, wenn er an meiner Art und Weise evtl. konstruktive Kritik hätte, aber so ....

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