Tochter ritzt sich

  • Hallo Franz,
    Du scheinst das Problem zu kennen, oder weisst zumindest, wovon ich rede. Kannst du mir helfen, damit umzugehen? Von Borderline hat im Bezug auf meine 12jährige Tochter noch niemand gesprochen. Wir sind in einem Beratungszentrum zu "gesprächen".. Meine tochter macht keine "Therapie", sie hasst dieses Wort und alles, was dafür steht. Also führen wir Gespräche... Mal gemeinsam, öfter sie allein mit der Beraterin. Da diese nun von suizid- gefahr geredet hat, und die häufigkeit des ritzens zunimmt, suche ich Eltern, die ähnliches erlebt haben. Ich bin alleinerziehend und muss das irgendwie für mich geregelt kriegen..
    L G Christiane

  • Hallo Christiane,

    ich bin keine Mutter, aber ich bin eine Tochter. Und vielleicht kann ich dir auch ein wenig helfen, indem ich dir die Sicht einer Betroffenen vermitteln kann.

    Hast du eine Ahnung, warum deine Tochter sich selbst verletzt und sich auch das Leben nehmen möchte? Und warum steht deine Tochter einer Therapie so ablehnend gegenüber?

    Es ist gut, dass bei deiner Tochter noch niemand von Borderline gesprochen hat, denn diese Diagnose kann erst wirklich im Erwachsenenalter gestellt werden. :smiling_face:

    Hast du Fragen, was das SVV anbelangt?

  • Servus Christiane,

    das Problem kennen hier natürlich viele, doch vielleicht nicht unbedingt als Mama oder Eltern.
    Es freut mich dass du es bei uns versuchst, ob man direkt helfen kann wird sich zeigen, aber ich glaub du wirst bisserl Einblick in das Thema bekommen und das ist als Ma sehr wichtig.

    Wer spricht von Suizidgefahr?
    Die Beraterin? Von was leitet sie das ab?

    Das wegen "Therapie" löst ihr schon mal super, Gespräche sind es ja und der Begriff kann für deine Tochter wirklich viel ausmachen. Viele haben Abneigung gegen Therapie, man wird ja als doof abgestempelt, leider ist die Allgemeinmeinung dazu immer noch unter aller Sau.

    Vielleicht erzählst man was du vermutest, warum sich deine Tochter schneidet.
    Dann würd ich noch gern wissen wie arg sie ritzt, also ob es eher ritzen ist oder wirklich schon krasse Schnitte die immer versorgt werden müssen.
    Wenn dazu noch die Fragen von gelberose angehst, dann werd ich mich auch weder einschalten und mal bisserl mehr als Papa erzählen :winking_face:

    Jedenfalls super dass du dich der Sache annimmst, es ist schwer und tut weh, aber nur über viel Info und massig Geduld wirst da weiter kommen - nee, nicht nur du, ihr zwei :smiling_face:

    Schönes WE mal, ich schau immer mal ins Thema ...

    LG Franz

  • Ich bin zwar auch "nur" Selbstbetroffene (wenn auch vergangen) und hab' keine eigene Kinder.

    Aber mich würde interessieren, wie du dich im Moment mit dem 'SVV deiner Tochter fühlst und umgehst?

    Wenn du generelle Fragen hast, darfst du hier natürlich gerne stellen - und wir werden so gut es geht versuchen dir Antworten zu geben.
    Vieles ist natürlich subjektiv, aber vielleicht können wir dir ein paar Ansatzpunkt geben.


    Gruß .fibra.

  • hallo fibra!
    Ich weiss leider nicht, wie ich damit umgehen soll. Anfangs, als ich erfuhr, was sie tut, dachte ich sie zu hassen. Aber so ist es nicht. Der Gedanke geht mit mir schlafen und steht mit mir auf: was tut sie? Ritzt sie gerade? Wie geht es Ihr? Ich weiche manchmal Konflikten aus, nur aus Angst, sie könnte es dann wieder tun..und ich bin schuld, weil ich geschimpft habe. Es ist immer so eine Gratwanderung der Gefühle.. Ich weiss mittlerweile, dass ich nicht schuld bin. Ich verstehe aber nicht, wie man sich so etwas antun kann.. Habe mir jetzt Bücher darüber gekauft. Ich möchte ihr helfen, ich will sie verstehen. Aber gleichzeitig merke ich, dass ich an meine Grenzen stosse. Ich hab keine Ahnung, was ich noch mittragen, noch ertragen kann. Wenn ich ihre Arme sehe, wird mir schlecht. Warum? Warum tut sie sich das an? Warum hört sie nicht einfach auf? Viele Fragen, auf die ich noch Antworten finden muss... L G Christiane

  • Hallo Christiane,

    erst einmal zu deinen Fragen:

    Zitat

    Warum? Warum tut sie sich das an?


    Warum genau deine Tochter sich das antut, weiß ich nicht, ich kann dir nur sagen, was häufig Ursachen für SVV sind und auch bei mir waren/sind.

    • Körperliche Schmerzen überdecken seelische Schmerzen. Ich hab Traumata erlebt und wollte sie vergessen. Wenn die Erinnerungen kamen und ich dachte, ich halte das nicht aus, hab ich mich selbst verletzt. Der körperliche Schmerz hat mich von den Erinnerungen abgelenkt und mir geholfen, in der Gegenwart zu bleiben. Ich musste mich um meine Wunden kümmern, es war der körperliche Schmerz da, stand im Vordergrund und nicht die seelischen Schmerzen. Das müssen aber nicht nur Traumata sein. Das können auch andere seelische Schmerzen sein (Mobbing, Selbsthass, sich selbst hässlich, unattraktiv finden etc.).
    • Selbst Bestrafung. Wenn ich wütend auf mich selbst war (weil ich von meinen Eltern oft die Schild an Dingen bekommen habe, habe ich irgendwann angefangen, mir selbst die Schuld für alles mögliche zu geben), habe ich mich bestraft und das eben mit Schmerzen.
    • Spüren wollen. Manche reagieren auf seelische Schmerzen auch so, dass sie alle Gefühle in sich so verdrängen, dass sie sie nicht mehr wahrnehmen. Aber ohne Gefühle spürt man sich selbst nicht mehr, d.h. diese Menschen fühlen sich dann sie tot. Und um zu sehen, ob sie doch noch leben, schneiden sie sich, sehen dann das Blut fließen und sehen dann, dass sie noch leben. Das beruhigt sie dann.
    • Hilfeschrei. Manche können nicht anders um Hilfe bitten. Es quält sie etwas, aber sie wissen nicht, wie sie es sagen sollen, wie sie um Hilfe bitten sollen. So verletzen sie sich selbst, auf der einen Seite in der Hoffnung, dass es keiner sieht, denn sie schämen sich dafür, weil es ist ja "unnormal, krank"; auf der anderen Seite wollen sie, dass es entdeckt und als das verstanden wird, was es ist: ein Hilfeschrei und dass sie dann Hilfe bekommen.

    Du siehst, was auch immer es ist, was deine Tochter dazu veranlasst, dass sie sich selbst verletzt, es liegt ein schweres psychisches Problem zugrunde.

    Zitat

    Warum hört sie nicht einfach auf?


    Weil, so unglaublich sich das anhört, es ihr gut tut! Es tut ihr gut, den Schmerz zu spüren, der ihr zeigt, dass sie lebt, der die seelischen Schmerzen überdeckt, der sie bestraft, der um Hilfe ruft. Aber es läuft auch ein physischer Prozess ab. In dem Moment, in dem man sich selbst verletzt, wird im Körper Adrenalin ausgestoßen. Von Adrenalin-Junkies hast bestimmt schon mal gehört, die sich immer wieder in die Tiefen stürzen müssen etc. Das Adrenalin verursacht erst einmal ein gutes Gefühl im Körper. Und ihr Gehirn bringt das natürlich miteinander in Verbindung: Ich schneide mich, danach geht es mir besser. Und der Mensch ist darauf programmiert, dass er das tut, womit er sich gut fühlt. Und mit der Zeit kann das zu einer Art Sucht werden. Es ist das, was ihr hilft, was ihr gut tut. Warum sollte sie das also sein lassen? Sie hat (MOMENTAN NOCH!!!) keine Alternativen, um sich selbst zu helfen, sich selbst ein besseres Gefühl zu verschaffen, aber daran arbeitet ihr ja.
    Versuch, dir das so vorzustellen: Es ist eine Situation, mit der sie nicht umzugehen weiß. Durch diese Unwissenheit baut sich in ihr eine Spannung, ein Druck auf. Und diese Spannung, dieser Druck wird durch das Selbstverletzen gelöst.
    Ich hoffe, ich konnte dir einen kleinen Einblick darüber geben, wie ein Mensch "tickt", der sich selbst verletzt. Stell ruhig deine Fragen, wir werden versuchen, sie zu beantworten. :smiling_face:

    Es ist sehr sehr gut, dass du dich damit auseinander setzt und deiner Tochter helfen willst. :smiling_face:
    Wie ist es denn, kannst du mit ihr reden? Also, nicht über das SVV, sondern über das, was ihr Probleme macht, was also das SVV verursacht? Wie läuft es denn ab, wenn ihr mal einen Mutter-Tochter-Abend macht, euch hinsetzt und einfach nur redet? Über Gott und die Welt, über Schule, über Jungs, über Freundinnen? Redet sie oder blockt sie total ab? Wann hat das SVV angefangen? Kannst du das mit irgend einem Ereignis in Verbindung bringen?

    Wäre super, wenn du meine Fragen und auch die von Franz (siehe über dem Beitrag von .fibra.) beantworten könntest, dann können wir dir besser helfen! :smiling_face:

  • Wenn ein Therapeut oder eine Beratungsstelle, auch nur ansatzweise bei einer 12 Jährigen eine Borderline-Persönlichkeitsstörung diagnostizieren würde oder in Betracht zieht, würde ich sofort, jemand anderen aufsuchen. Mir wurde genau auf so eine Art und Weise und einer solch schwerwiegenden Diagnosestellung mit knapp 15, das halbe Leben ruiniert. Und heute und das erst seit wenigen Wochen, ist nach jahrelangen Therapien bekannt, ich habe kein Borderline, ich bin total fehldiagnostiziert worden. Natürlich muss das nicht für alle gelten, aber ich würde hier einfach die Ohren weit aufsperren.

    Zum Rest hat Gelberose schon einiges geschrieben :smiling_face:

  • Absolut richtig Future, aber wer bisserl was davon versteht, der gibt nei in dem Alter nur ein Wort über so eine Diagnose raus :winking_face:
    Leider passiert es immer wieder, doch dann bleibt nur was Future auch schreibt - sofortiger Wechsel der Institution.
    Aber so wie ich es verstanden habe, da kam es ja auch nicht zur Sprache ...

    Eines Christiane!
    Du musst dich auch selbst schützen, in dem du etwas Abstand zu gewissen Zeiten für dich nimmst.
    Ich weiß nur zu gut wie das ist, aber wenn du selbst nicht mehr klar denken kannst und dich da noch mehr in Abhängigkeiten stützt, dann wirst am Ende noch selbst richtig krank :frowning_face:
    Leichter gesagt als getan ...
    "Noch mehr Abhängigkeiten" meine ich, du machst ja in gewisser Weise schon ähnliches - wenn du dich zurück nimmst, klare Worte vermeidest - sie könnte sich dann ja schneiden.
    Sie tut es nicht um dir weh zu tun, aber wenn sie es ändern will, dann kann sie es - mit dir zusammen.
    Ob aber die Mutter immer der beste Anprechpartner ist, das liegt an eurem Verhältnis ... und bei dem Alter ist alles schwer.
    Ihr tut einiges, jetzt braucht es viel Geduld und Zeit, nur so kann sich was ändern.

    In der Zwischenzeit wirst leider mit weiteren Verletzungen leben müssen.
    Aber vielleicht ist das ein Weg - komm zu mir wenn du dich zu sehr geritzt hast, es sollen ja Folgeerscheinungen wie Entzündungen vermieden werden. Ich werde da auch nicht schimpfen, dir nur beim versorgen helfen, kein Wort, nicht mehr ....
    Mit dem erhobenen Zeigefinger erreicht man nichts, leider.
    Im Moment Christine kann man nur schlimmeren Schaden vermeiden, muss aber das Leid eine Zeit ertragen lernen - richtig zum Kotzen, doch mit Druck und 'Gewalt erreicht man nur das Gegenteil!!

    So und nun warte ich mal deine Antworten ab :smiling_face:

    LG Franz

  • Zitat von Christiane;237392

    ... Meine tochter macht keine "Therapie", sie hasst dieses Wort und alles, was dafür steht. Also führen wir Gespräche... Mal gemeinsam, öfter sie allein mit der Beraterin. Da diese nun von suizid- gefahr geredet hat, und die häufigkeit des ritzens zunimmt, suche ich Eltern, die ähnliches erlebt haben. Ich bin alleinerziehend und muss das irgendwie für mich geregelt kriegen..
    L G Christiane


    Hi Christiane,

    vielleicht wurde in der Einrichtung, in der die Übergriffe, die sie mitbekam, stattfanden, von "Einzelgesprächen""Therapie" oder so gesprochen?!
    und sie assoziiert nun das Hilfsangebot einfach von daher anders, als man als Erwachsener meint?
    Kannst ja mal - vorsichtig - anbieten, dass du mitkommst!

    Falls du das nicht eh schon angeboten hast; war so ein Gedanke, den ich beim Lesen hatte... :gj:

    LG.Gane

  • hallo,
    wollte einfach nur mal kurz sagen, dass ich eure antworten sehr ausführlich, einfühlend und schön fand......

    vielleicht meldet sich christiane wieder, wäre sonst echt schade.....

    pingala

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