Damals, als ich ihn angezeigt hatte und das, was heute

  • Damals, als ich ihn angezeigt hatte und das, was heute ist...

    Hallo,

    ich wollte euch mal etwas erzählen, vielleicht ist es ja auch mal schön etwas positives zu erzählen?

    Ich habe als Kind innerhalb der Familie viel Gewalt erlebt. Unter anderem wurde ich von meinen Großvater mütterlicherseits auch sexuell missbraucht. Als ich ungefähr 15 war kamen die Erinnerungen daran wieder und sehr kurze Zeit später vertraute ich mich auch meinen Eltern an. Auffällig war ich schon davor: SVV, Alkohol, Drogen - volles Programm eben. Meine Eltern glaubten mir auch, aber man spielte es herunter. Meine Mutter Zwang mich weiterhin ihn zu sehen und mir (!!!) wurde ein schlechtes Gewissen eingeredet und ich soll doch auf den alten Mann Rücksicht nehmen. Ich war zu der Zeit auch in Therapie, aber ihr könnt euch vorstellen wie das ist, wenn man sich alles so mühevoll in der Therapie aufbaut und daheim im Elternhaus wird dann wieder alles zerstört. Erst nach meinem Suizidversuch verbat meine Mutter den Kontakt zu meinen Großvater und sie versicherte mir das sie nur für mich da sei und ihn nie wieder sehen wolle.

    Ich bin dann letztendlich ausgezogen und kam meinen Eltern zuvor, die mich rauswerfen wollten. Es vergingen einige Jahre und ich hatte in meiner Therapie auch wirklich viel gelernt, aber der Missbrauch, die Erinnerungen, all das ließen mir keine Ruhe. Mein Partner sagte dann den entscheidenen Satz: "Wenn du auch jetzt noch, Jahre später, so sehr unter ihn leidest, dann zeig ihn an und wehr dich!"

    Das war 2007 und ich lebte zu der Zeit im Ausland, seeehr weit weg von Deutschland. Über den Weißen Ring gelangte ich an eine Anwältin, die erste Beratung war gratis durch den Gutschein den man erhält. Sie erklärte mir das es möglich ist das ich alles schriftlich bei der Polizei einreiche, da ich ja nicht eben mal nach Deutschland kommen konnte. Also schrieb ich alles auf und erstatte über meine Anwältin Anzeige wegen Missbrauch von Kindern. Gleichzeitig trat ich als Nebenklägerin auf, denn nur so hatte ich das Recht in alle Dinge des Verfahrens mit einbezogen zu werden und vorallen konnte ich so seine Aussagen lesen!

    Erstmal passierte nichts, dann bekam ich per Post seine erste Aussage zu lesen und wenn ich meine Partner nicht gehabt hätte, hätte ich das wohl nicht durchstehen können. Die Anschuldigungen die ich mir anhören durften gipfelten an Unverschämtheit, inbesondere was sein Anwalt mir an den Kopf warf lag unterhalb der Gürtellinie. Er unterstellte mir zum Beispiel das ich als Kind in den Großvater verliebt war und dies mein Rachefeldzug sei, weil er meine Liebe abgewiesen habe. Als sexuell gestörte Lesbe mit bizarren Fantasien und Fetishen wurde ich dargstellt, als ein gestörtes Mädchen das nicht wüsste was sie tut und unzurechnungsfähig sei.

    Aber ich nahm zu jeder Aussage Stellung und erklärte nochmal in aller Deutlichkeit, dass ich mit der Anzeige keine Rache haben möchte, sondern das ich mir nur ein einziges Mal wünschen würde das er sich dafür verantwortet was er getan hat! Denn das hat er nie getan. Ich habe ihn als Jugendliche einen Brief geschrieben und ihn mit allen konfrontiert, es kam nur eine fadenscheinige Antwort zurück. Meine Mutter hatte ihn angesprochen und ich wurde der Lüge bezeichnet. Ich wollte nur das er endlich mal erkennt, dass das was er getan hat nicht in Ordnung war! Das es falsch war! Und das er für seine Taten gerade stehen muss, so wie jeder andere auch! Mehr wollte ich doch nicht. Es war mir doch egal was für ein Urteil er erhält. Ich wollte doch nur das er verdammt nochmal Verantwortung tragen muss für das was er getan hat - ich wollte nicht länger die Lügnerin sein.

    Das Ermittlungsverfahren zog sich über 2 Jahre. Ich erfuhr dadurch auch das meine Mutter sehr wohl noch Kontakt zu ihm und mich all die Jahre belogen hatte... anscheinend bin ich ihr nicht so wichtig. In diesen 2 Jahren musste ich dennoch nach Deutschland fliegen und zur mündlichen Vernehmung erscheinen. Die Beamtin war sehr, sehr nett und sehr einfühlsam und hat mir immer wieder Mut gemacht. Sie dürfe das eigentlich nicht sagen, aber sie würde mir glauben. Es tat gut so verstanden zu werden.

    Ende 2008 kam dann der Brief dass das Ermittlungsverfahren abgeschlossen sei. Die Staatsanwaltschaft habe befunden das die bisherigen Ermittlungen darauf schließen lassen das eine Verurteilung möglich sei und man würde beim Gericht Anklage erheben.

    Im Januar 2009 war dann die Verhandlung. Neben vielen Zeugen (nein, es war niemand bei den Taten anwesend, aber zum Beispiel waren meine Mutter, eine sehr gute Freundin von mir, mein Vater und meine ehemalige Therapeutin als Zeugen geladen) war ich die erste, die um 9 Uhr morgens vor Gericht aussagen sollte. Das war eine der schlimmsten Zeiten meines Lebens und ich konnte nur durchhalten, weil mein Partner an meiner Seite war.

    Um 9.30 Uhr kam meine Anwältin nach draußen, sie hatte mir empfohlen nicht im Gerichtssaal zu sitzen, obwohl ich das als Nebenklägerin gedurft hätte! Sie sagte mir, dass der Staatsanwalt versucht meinen Großvater zum Geständnis zu bewegen, da die Beweisleist erdrückend sei. Auch sein Anwalt würde ihm inzwischen dazu raten. Sie fragte mich, ob eine Abfindung von xxxxxx EUR in Ordnung wäre. Mit sowas hatte ich nicht gerechnet, war mir auch egal, ich wollte nur nicht aussagen! Sie ging wieder zurück in den Gerichtssaal. Um 9.45 Uhr kam sie wieder heraus: mein Großvater habe gestanden und einer Abfindung zugestimmt, damit es nicht nochmal zu einem Schmerzensgeldprozess kommen muss.

    Eine Stunde später fiel der Urteilsspruch nachdem sich das Gericht beraten hatte. Mein Großvater wurde in allen Punkten schuldig gesprochen und wurde dazu angeordnet sich bei mir zu entschuldigen. Was dann gschah werde ich nie vergessen: der Staatsanwalt kam zu mir, reichte mir die Hand und schüttelte sie ganz fest. Er sagte zu mir: "Das Sie das hier durchgezogen haben ist so unglaublich wichtig, dass können Sie vielleicht jetzt noch gar nicht begreifen. Aber Sie haben gezeigt das eine Verurteilung auch noch nach über 10 Jahren möglich ist und dafür danke ich Ihnen. Wenn das morgen in der Zeitung steht, dann senden wir die richtige Message".

    Das ist jetzt bald drei Jahre her. Und ich fühle mich seit dem Urteil so -frei-. Seitdem habe ich damit abschließen können. Ich habe alles erreicht was ich wollte: er hat es zugegeben, er hat die Verantwortung tragen müssen und er konnte sich nicht länger verstecken und ich, ich bin endlich keine Lügnerin mehr. Ich bin nicht die durchgeknallte Psychopathin! Ich hatte Recht und ich habe Recht bekommen.

    Ich habe mit dem Missbrauch abschließen können und habe mit diesen Kapitel meines Lebens Frieden schließen können. Ihn anzuzeigen war die beste Entscheidung meines Lebens, denn die Anzeige, die Verhandlung und das Urteil haben mir geholfen endlich einen Strich zu ziehen und bei 0 neu zu beginnen.

    Die Verfahrenskosten musste er tragen und ich musste meiner Antwälting keinen Cent zahlen, dank der Vermittlung durch den Weißen Ring.

    Ich will euch sagen, dass man das was man in der Kindheit erlebt hat niemals (!) vergessen werden wird, aber man kann damit leben und es ist nie, niemals zu spät sich zu wehren!

  • Oft haben wir uns schon den Mund fusselig geredet, uns die Finger wund geschrieben, aber so ein Bericht einer betroffenen kann nichts ersetzen Dunkelherz und dafür danke ich dir :smiling_face:
    Es wird vielleicht manchen den Mut geben, sich doch in die Richtung zu bewegen - meiner Meinung geht es auch nicht anders ...

    Ich finde in dem Zusammenhang kann man auch mal wieder das Interview 2 mit dem K 105 (Abteilung Opferschutz in München) ins Spiel bringen :winking_face:
    ==> https://www.suchtundselbsthilfe.de/forum/content/…elbsthilfe.html
    ==> Thema - Anzeige im Missbrauchsfall
    Auch da wurde von der Beamtin klar geraten, man sollte eine Anzeige machen und sich so ein Stück weit befreien - wie es bei Dunkelherz gelungen ist ...

    LG Franz

  • Hallo Dunkelherz,

    wow, vielen vielen Dank für diesen Bericht! Wahnsinn, wie du das durchgestanden hast! Du hast wirklich meinen allerhöchsten Respekt!!! Aber das tollste daran finde ich, dass es DIR nun besser geht, dass DU damit absachließen konntest und nun ein (hoffentlich) gutes und schönes Leben führen kannst. Du hast es sowas von verdient!!!!

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